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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 30. November 2017

COLOSSAL (2016)

Regie und Drehbuch: Nacho Vigalondo, Musik: Bear McCreary
Darsteller: Anne Hathaway, Jason Sudeikis, Dan Stevens, Austin Stowell, Tim Blake Nelson, Agam Darshi
 Colossal
(2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 81% (7,1); weltweites Einspielergebnis: $4,5 Mio.
FSK: 12, Dauer: 114 Minuten.
 Seit Gloria (Anne Hathaway, "The Dark Knight Rises") vor einem Jahr ihren Job als Journalistin verloren hat, hängt sie meistens in der New Yorker Wohnung ihres Freundes Tim (Dan Stevens, "The Guest") herum und schreibt gelegentlich einen Artikel für ein Onlinemagazin vor allem aber trinkt sie sehr viel Alkohol und feiert bis in die Nacht hinein wilde Partys. Irgendwann reicht es Tim und da Gloria nicht einmal einsehen will, daß sie ein Alkoholproblem hat, schmeißt er sie kurzerhand raus. Mittellos kehrt Gloria in ihren Heimatort zurück, wo sie direkt ihrem alten Schulfreund Oscar (Jason Sudeikis, "Wir sind die Millers") über den Weg läuft, der ihr einen Job als Kellnerin in der Bar anbietet, die er von seinem Vater geerbt hat. Gloria nimmt an und verbringt einige unterhaltsame, reichlich alkoholgeschwängerte Abende mit Oscar und seinen beiden Freunden Joel (Austin Stowell, "Bridge of Spies") und Garth (Tim Blake Nelson, "Der unglaubliche Hulk") – beeinträchtigt nur durch die Tatsache, daß in Seoul aus dem Nichts eine gigantische Kreatur auftaucht und für Chaos und viele Tote sorgt. Bald entdeckt Gloria etwas Unglaubliches: Sie scheint diese Kreatur, die jedes Mal genau zur gleichen Zeit auftaucht und nach wenigen Minuten wieder verschwindet, unbewußt zu steuern …

Kritik:
Der spanische Filmemacher Nacho Vigalondo erhielt bereits mit 28 Jahren seine erste OSCAR-Nominierung, für den Kurzfilm "7:35 de la mañana". Seitdem steigerte er seine Bekanntheit konsequent mit Genrefilmen wie dem cleveren Zeitreise-Thriller "Timecrimes – Mord ist nur eine Frage der Zeit", dem experimentellen Social Media-Horrorfilm "Open Windows" mit Elijah Wood und Sasha Grey und seinen Beiträgen zu den Horror-Anthologien "The ABCs of Death" sowie "V/H/S Viral". Für "Colossal" konnte er mit OSCAR-Gewinnerin Anne Hathaway erstmals einen ganz großen Hollywood-Star gewinnen, mit einem Budget von $15 Mio. ist es auch Vigalondos bislang aufwendigste Produktion – was aber noch lange nicht heißt, daß er sich im Bemühen um einen Karrieresprung plötzlich auf einen klassischen Mainstream-Stoff einlassen würde. Im Gegenteil, der von ihm auch geschriebene Mix aus (Tragi-)Komödie, Monsterfilm, Thriller und Suchtdrama ist so unkonventionell und einfallsreich geraten, wie man es sich nur wünschen kann (wenn man Abwechslung zu schätzen weiß). Das funktioniert lange gut, entwickelt sich im Handlungsverlauf jedoch für meinen Geschmack doch etwas zu dick aufgetragen und tonal unausgeglichen.

In der ersten Filmhälfte macht "Colossal" sehr viel Spaß, denn obwohl Glorias Alkoholproblem keineswegs verharmlost wird, ist es einfach amüsant, ihr und ihren neuen beziehungsweise in Oscars Fall wiedergefundenen Freunden beim ausgelassenen Feiern und Diskutieren und in Erinnerungen Schwelgen zuzusehen und -hören. Das ist ebenso Nacho Vigalondos spritzigen Dialogen zu verdanken wie den gut aufgelegten Darstellern, wobei vor allem Anne Hathaway es sichtlich genießt, mal so richtig aus sich rausgehen zu dürfen. Und als Gloria dann noch ihre unerklärliche (und trotz einiger Rückblenden gegen Ende auch weitgehend unerklärt bleibende) Verbindung zu der Seoul verwüstenden Kreatur entdeckt und ihren drei Freunden demonstriert, nimmt der Grad an unterhaltsamem, herrlich schrägen Wahnsinn sogar noch zu – ich meine, wer wollte nicht schon immer einmal ein riesiges Monster á la "Godzilla" oder "Pacific Rim" tanzen sehen? Ähnlich wie bei Josh Tranks stilistisch nicht unähnlichem Anti-Superhelden-Film "Chronicle" nimmt die bis dahin – ja, trotz der (versehentlich) tödlichen Kreatur und Glorias Alkoholismus – leichtfüßige Komödie etwa zur Hälfte einen deutlichen Stimmungsumschwung vor hin zu einem immer ernsteren Thriller-Drama.

Auslöser dafür gibt es zwei: Erstens entdeckt Oscar, daß er die gleiche Fähigkeit wie Gloria hat und eine zweite Kreatur (in diesem Fall ein Riesenroboter) ebenfalls in Seoul kontrolliert. Zweitens muß der in Gloria verliebte Oscar erkennen, daß diese seine Gefühle nicht erwidert, sondern nur einen Freund in ihm sieht. Diese Ablehnung nimmt Oscar gar nicht gut auf – und da kommt der von ihm gesteuerte Riesenroboter ins Spiel ... Natürlich will ich nicht zu viel verraten, da die Story einige interessante Wendungen nimmt, aber von der Leichtfüßigkeit der ersten Hälfte bleibt jedenfalls kaum noch etwas übrig, stattdessen wird es immer dramatischer – und leider zum Teil auch unglaubwürdiger und unlogischer. Beispielsweise rächt es sich nun, daß Vigalondo zu Beginn zwar viele wirklich amüsante Szenen geschrieben hat, dabei aber die Figurenzeichnung etwas vernachlässigte. Einzig Gloria und Oscar wirken authentisch, vielleicht noch ihr wankelmütiger Ex-Freund Tim (dessen Beziehung zu Gloria aber trotzdem irgendwie merkwürdig wirkt) – Garth und Joel bleiben hingegen am Rand, einer von ihnen verschwindet schließlich sogar vollständig von der Bildfläche. Außerdem fragt man sich, wie inkompetent man eigentlich sein muß, um in Seoul ein verantwortungsvolles Amt zu ergattern, denn obwohl die Kreaturen immer zur gleichen Zeit auftauchen, denkt man offensichtlich gar nicht daran, so etwas wie eine Ausgangssperre für diese Zeit zu verhängen oder andere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Klar, eine Millionenstadt zu evakuieren, ist nicht die beste Lösung, aber man sollte meinen, daß sowieso viele Einwohner freiwillig abhauen würden angesichts dieser tödlichen Bedrohung. Stattdessen sind jedes Mal, wenn die Kreaturen erscheinen, Massen an Menschen unterwegs, die völlig überrascht reagieren und panisch durch die Straßen laufen. Sinn ergibt das nicht wirklich und auf Dauer ging es zumindest mir zunehmend auf die Nerven …

Noch schwerwiegender ist jedoch, daß im finalen Akt der Geschichte auch die Handlungen der Protagonisten nur noch bedingt Sinn ergeben und sie logische Optionen komplett ignorieren. Das macht es allzu offensichtlich, daß die Handlung zu diesem Zeitpunkt nur noch dem von Vigalondo intendierten Muster folgt, ob es nun Sinn ergibt oder nicht. Doch als Zuschauer fragt man sich ständig, warum Gloria und die anderen nicht einfach Naheliegendes probieren, um Oscar aufzuhalten – etwa ihn wegen eines Verbrechens festnehmen zu lassen. Dafür müßte man nicht einmal etwas erfinden, er verstößt oft genug gegen die Gesetze; natürlich wäre das nur eine vorübergehende Lösung, aber sie würde zumindest Zeit erkaufen, um in Ruhe einen guten Plan zu entwickeln. Stattdessen entscheidet sich Gloria nach langem Hin und Her für die wohl extremste (und dabei unsicherste) Option, die zwar ein emotional durchaus befriedigendes Ende ermöglicht, aber eben kaum realistisch erscheint. Speziell im letzten Filmdrittel verspielt "Colossal" also einiges von dem Kredit beim Publikum, den er sich zuvor hart erarbeitet hat. Dennoch will ich auch nicht zu negativ klingen, denn allen Logik- und Glaubwürdigkeitsdefiziten sowie der ständigen Tonänderungen zum Trotz fiebert man zweifellos mit den Figuren mit, was auch an den starken Schauspielleistungen liegt. Hathaway habe ich ja bereits gelobt, trotz nur geringer Charakterentwicklung verkörpert sie die sich selbst etwas vormachende Alkoholikerin sehr überzeugend, zudem sind ihre Reaktionen sowohl auf die Monster-Entdeckung als auch auf Oscars düstere Wandlung ungemein nuanciert und ausdrucksstark vorgetragen. Doch die Überraschung des Films ist der vorwiegend auf Komödien-Rollen abonnierte Jason Sudeikis, der Oscars Entwicklung vom freundlichen, wenngleich wie Gloria sehr dem Alkohol zugeneigten Barbesitzer über leichte Stalker-Tendenzen bis hin zum vollkommenen, größenwahnsinnigen Soziopathen-Modus bemerkenswert glaubwürdig vermittelt (was gerade im Vergleich zu der sonstigen Unglaubwürdigkeit der Storyentwicklung auffällt). Allein die Leistungen von Hathaway und Sudeikis im Verbund mit der sehr unterhaltsamen ersten Hälfte und der sich selbstbewußt den Konventionen entziehenden, die Genres durchbrechenden Handlung sorgen dafür, daß es sich lohnt, dem (wunderbar als überlanger Anti-Alkohol-Werbespot funktionierenden) "Colossal" eine Chance zu geben – trotz der Schwächen in der zweiten Filmhälfte.

Fazit: "Colossal" ist eine originelle, vor allem in der spritzigen ersten Hälfte sehr unterhaltsame Mystery-Tragikomödie mit zwei starken Hauptdarstellern – bedauerlicherweise verwässert ein arg konstruierter und wenig glaubhaft entwickelter dritter Akt den bis dahin guten Eindruck.

Wertung: 7 Punkte.


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