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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 16. Januar 2018

Klassiker-Rezension: GEWAGTES ALIBI (1949)

Originaltitel: Criss Cross
Regie: Robert Siodmak, Drehbuch: Daniel Fuchs, Musik: Miklós Rózsa
Darsteller: Burt Lancaster, Yvonne De Carlo, Dan Duryea, Stephen McNally, Alan Napier, Tom Pedi, Percy Helton, Griff Barnett, Edna M. Holland, Meg Randall, Richard Long, Esy Morales, Tony Curtis, Gene Evans
 Gewagtes Alibi
(1949) on IMDb Rotten Tomatoes: 100% (8,4); FSK: 16, Dauer: 84 Minuten.

Steve Thompson (Burt Lancaster) kehrt nach jahrelanger Abwesenheit in seine Heimatstadt Los Angeles zurück – vorgeblich der Familie wegen, in Wirklichkeit will er vor allem seine Ex-Frau Anna (Yvonne De Carlo, "Die Piratenbraut") wiedersehen. Ihre stürmische Ehe hielt zwar nur sieben Monate, doch Steve ist noch immer hoffnungslos in sie verliebt, auch wenn er das nicht zugeben will. Wie sich herausstellt, scheint Anna seine Gefühle zu erwidern, jedoch ist sie inzwischen mit dem Gangster Slim Dundee (Dan Duryea, "Gefährliche Begegnung") liiert. Obwohl seine Familie und sein bester Freund, der Polizist Pete (Stephen McNally, "Winchester '73"), ihm dringend dazu raten, Anna endlich zu vergessen, ist er einfach nicht in der Lage, loszulassen. Als der eifersüchtige und gewalttätige Slim dahinterkommt, daß Steve und Anna sich heimlich treffen, will Steve dem Gangster helfen, jenen Geldtransporter zu überfallen, den er selbst als Wachmann begleitet, um Slim zu besänftigen …

Kritik:
Obwohl die Hochzeit des Film noir keine zwei Jahrzehnte andauerte (von Anfang der 1940er bis Ende der 1950er Jahre), ist es eines der bis heute stilprägendsten Genres der Filmgeschichte. Und dazu eines, bei dem der Anteil der hochklassigen Werke zumindest gefühlt deutlich höher liegt als bei den meisten anderen Genres. Natürlich gibt es zahlreiche billig heruntergekurbelte B-Movies und einige schlicht mißglückte Versuche, aber die Anzahl der richtig guten oder gar meisterhaften Film noirs ist wahrlich beeindruckend. Offensichtlich zog das von der Hardboiled-Literatur der 1920er und 1930er Jahre mit den wichtigsten Autoren Raymond Chandler und Dashiell Hammett inspirierte Genre (das streng genommen eine Unterart des Kriminalfilms ist) hochtalentierte Regisseure, Drehbuch-Autoren und Schauspieler besonders an. Orson Welles, Fritz Lang, Howard Hawks, Stanley Kubrick, Billy Wilder, Alfred Hitchcock, William Wyler, Raoul Walsh, John Huston, Michael Curtiz, Jules Dassin, Otto Preminger und Robert Siodmak sind nur einige der brillanten Filmemacher, die ihre großen Fußspuren im Film noir hinterließen. Von Letzterem stammt auch "Gewagtes Alibi", der zwar nicht zu den ganz großen Klassikern des Genres zählt, aber eigentlich alles zu bieten hat, wofür der Film noir berühmt wurde: Einen ambivalenten Protagonisten, eine undurchschaubare Femme fatale, reichlich Zynismus sowie eine raffiniert verschachtelte Story, die bis zur allerletzten Einstellung die Spannung hochhält.

Burt Lancaster, einer der größten Hollywood-Schauspieler aller Zeiten, ist nicht in erster Linie als Film noir-Darsteller bekannt, sondern eher für Abenteuerfilme wie "Der rote Korsar" oder "Der Rebell" (für deren akrobatische Einlagen der frühere Zirkusartist wie geschaffen war) und anspruchsvolle Charakterdramen wie "Verdammt in alle Ewigkeit", "Dein Schicksal in meiner Hand", "Das Urteil von Nürnberg", "Der Gefangene von Alcatraz" oder "Der Leopard". Doch ihren Anfang nahm Lancasters große Karriere mit Film noirs: Bereits sein (mit 33 Jahren relativ spätes) Debüt in Robert Siodmaks heutigem Klassiker "Rächer der Unterwelt" bescherte ihm 1946 den Durchbruch, anschließend drehte er jahrelang kaum etwas anderes. Angesichts des großen Erfolges von "Rächer der Unterwelt" verwundert es nicht, daß Siodmak und Lancaster drei Jahre später bei "Gewagtes Alibi" erneut zusammenarbeiteten. Lancaster macht wiederum einen guten Job als Steve, der nicht nur von seinem Polizisten-Freund Pete als ein guter Kerl charakterisiert wird, der aber durch seine obsessive Liebe zu Anna auf die schiefe Bahn gerät. Während der 40-minütigen Fahrt des Geldtransporters zu seinem Zielort – an dem der Überfall vonstattengehen soll – erfahren wir durch ausführliche Rückblenden, wie es so weit kommen konnte.

Und weil es sich nicht um irgendeinen Film handelt, sondern um einen hochklassigen Film noir, ist die Geschichte nicht so einfach, wie man sich das anhand der Prämisse vorstellen mag. Pete beispielsweise, der sich so rührend um seinen Freund sorgt, tut etwas Anmaßendes und eigentlich Unverzeihliches, das bei allem guten Willen Steves drohenden Untergang letztlich beschleunigt. Anna auf der anderen Seite, mit einer gekonnten Mischung aus naiver Unschuld und Berechnung verkörpert von der späteren "Lily Munster" Yvonne De Carlo, scheint Steve tatsächlich zu lieben (die Frage ist nur: ist ihre Liebe groß genug?) und mit ihm durchbrennen zu wollen – gleichzeitig wirkt Slim für einen brutalen Gangster eigentlich recht vernünftig. Diese undurchschaubare Figurenkonstellation sorgt dafür, daß man sich bis zum Schluß im Unklaren darüber bleibt, was geschehen wird: Ist der Überfall von Steve als Falle eingefädelt, um Slim hinter Gitter zu bringen und somit freie Bahn bei Anna zu haben? Will Slim wirklich fair mit Steve teilen oder hintergeht er ihn, um die gesamte Beute zu bekommen? Spielt eventuell gar Anna die beiden sie begehrenden Männer gegeneinander aus, um am Ende mit dem ganzen Geld zu verduften? Ist womöglich sogar Polizist Pete irgendwie in die Sache verwickelt? Fragen über Fragen, die in dem vom deutschen Regisseur Siodmak atemberaubend atmosphärisch in Szene gesetzten Überfall kulminieren, bei dem die sparsam eingesetzte, aber umso effektivere, gewohnt wuchtige Musik des dreimaligen OSCAR-Gewinners Miklós Rózsa ("Ben-Hur", "Frau ohne Gewissen") voll zum Tragen kommt. Der Überfall bedeutet aber keineswegs das Ende der Story, vielmehr läutet er das Finale erst ein, dessen ebenso logischer wie überraschender und deshalb unvergeßlicher Schlußpunkt aus einem guten einen exzellenten Film noir macht.

Filmhistorische Randnotiz: "Gewagtes Alibi" beinhaltet das Filmdebüt des späteren Weltstars Tony Curtis ("Manche mögen's heiß"), der früh im Film als namenloser Statist einen Rumba mit Anna tanzt. Und es ist, ebenfalls als Statist, der zweite Leinwandauftritt von Gene Evans, der in den 1950er Jahren mit zwei Hauptrollen in Samuel Fullers "Die Hölle von Korea" und "Der letzte Angriff" (mit die ersten amerikanischen Anti-Kriegsfilme nach dem Zweiten Weltkrieg) bekannt wurde und sich dann zu einem verläßlichen Nebendarsteller in Filmen wie "Schock-Korridor" oder "Unternehmen Petticoat" (wiederum an der Seite von Tony Curtis) entwickelte.

Fazit: "Gewagtes Alibi" ist ein sehr guter Film noir mit einem überzeugenden Hauptdarsteller-Trio, der zwar aus altbekannten Genreversatzstücken besteht, diese aber hochgradig effektiv neu zusammensetzt.

Wertung: 8,5 Punkte.


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